Wer sind wir ohne die Anerkennung unseres menschlichen Körpers? Ein wesentlicher Bestandteil unseres Menschenbildes ist die offizielle Anerkennung unserer Überreste. Auch wenn wir alleine sterben, sind wir dennoch mit unseren Hinterbliebenen verbunden. Um uns als Teil der Gesellschaft fühlen zu können, zählt daher unsere Dokumentation. Wir verstehen uns durch die Trauer. Indem wir sehen, wie sich Menschlichkeit äußert und zeigt, erleben wir einen Zugang zu unseren Gefühlen. Erst dann können wir in der Gemeinschaft kollektives Verständnis und Heilung antreten. Insbesondere wenn es um unseren Schmerz oder Wut geht. Denn bei Ungerechtigkeiten findet Transformation nicht alleine statt. Wer hat nun Zugang zu den menschlichen Überresten/human remains aus der Kolonialzeit?
Unter dem Motto „Wir wollen sie zurück haben“ heißt es für die Initiative wewantthemback.berlin. Sie kämpfen für die Rückführung menschlicher Überreste aus der kolonialen Vergangenheit. Die Datenbank der Initiative wurde in Zusammenarbeit mit 15 Institutionen – darunter in Jena, Gotha, Berlin, Marburg und Tübingen –, erstellt. Aktuelle Zahlen zeigen, dass in Deutschland sich etwa 17.000 menschliche Überreste aus kolonialem Kontext befinden. 9.490 davon sind unrechtmäßig und bisher wurden nur 222 rechtmäßig zurückgegeben. Wer im Besitz menschlicher Überreste ist, hält auch die Verantwortung der Geschichte der Menschheit. Der Zugang zur Vergangenheit bedeutet einen Zugang zur Menschheit zu haben.
wewantthemback wurde erstmals im Februar 2022 durch die Koordinierungsstelle bei Decolonize Berlin e.V. veröffentlicht.
Unsere renommierten Bildungseinrichtungen wie die Freie Universität Berlin oder die Charité – Universitätsmedizin Berlin haben unser Menschenbild durch die Verwendung, Abwertung und Generalisierung menschlicher Überreste aus der kolonialen Vergangenheit geprägt. Bis heute befinden sich im Bestand dieser Institutionen menschliche Überreste. Bei der Freien Universität sprechen wir von 16.000 Knochenfragmenten, die mindestens 54 bis 107 Menschen zugeordnet werden können. Wir sprechen aber auch von anderen „Leichen im Keller“, die aus Kolonial- und NS-Verbrechen stammen. Während Wissenschaftler*innen sich aufwerteten, entmenschlichten sie andere durch ihre menschenverachtende pseudowissenschaftliche Rassenforschung zur Hierarchisierung der Menschheit.
Dekolonialisieren bedeutet, die Hierarchien in unserem Menschenbild von kolonialer Vergangenheit zu entwurzeln. Ein Beispiel dazu ist Aminata Belli, die auf den Spuren des kolonialen Erbes die Deutsche Schuld in Namibia und dem Völkermord zu Grunde geht. Denn der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts war von den „60.000 Ovaherero und 10.000 Nama durch deutsche Kolonialisten“. Auch in unserer Dekolonialen Stadtführung widmen wir uns Nambia und der deutschen Kolonialzeit. Mit der Swakopmunder Straße in unserem Programm geben wir im Afrikanischen Viertel eine alternative Stadtführung zu diesem kolonialen Flächendenkmal, das die deutsche Kolonialmacht verankert hat.
Opfer kolonialer Menschenverbrechen gehören dahin zurück, wo sie NIE entnommen, entführt und zum Fremdeigentum gemacht hätten werden sollen. Das „Human Remains Projekt“ widmet sich der Aufgabe, die Herkunft menschlicher Überreste aus der Kolonialzeit kritisch entgegenzutreten und zurückzugeben. Die Charité hat ebenfalls nach langer Zeit mit der Rückführung von 20 Schädel nach Namibia einen ersten Schritt getan.
Gedenkstätten dienen dem Gedenken, der Trauer und dem Erinnern. Es ist eine Prozess, die für die soziale Orientierung heute und für die Zukunft von grundlegender Bedeutung ist. Wir alle brauchen einen historischen Spaziergang sowie Erinnerungsorte und Denkmäler als Zugang zu unserem Menschsein. Denn Menschsein geschieht nicht im Alleingang. Die Opfer kolonialer Menschenverbrechen lehren uns den Wert von Respekt. Es ist eine Haltung und ein Verhalten gegenüber den erlittenen Erfahrungen der Opfer, die es zu ehren und zu würdigen gilt. Der Umgang mit den menschlichen Überresten ist eine Aufgabe eine generationsübergreifende gemeinschaftliche Verbundenheit zu teilen. Denn es ist eine Frage der Freiheit, wenn wir über Menschen aus kolonialer Gefangenschaft sprechen. Das Menschenbild von Opfern zu Überlebenden in unserem Herzen und in unserem kollektiven Gedächtnis zu bewahren, ist schlussendlich unserer Menschenbild zur Menschlichkeit.
Mit diesem Anlass laden wir herzlich dazu ein, an unserer Dekolonialen Stadtführung teilzunehmen, die jeden Samstag und Sonntag von 11-13 Uhr stattfindet. Wir möchten auch alle Bildungseinrichtungen einladen, insbesondere die Studierendenschaft, sich dieser Führung anzuschließen im Hinblick auf den Umgang mit den menschlichen Überresten aus der kolonialen Vergangenheit.
Walk the past, change the future.
I am nobody
Without the recognition of my body,
I am not officially seen
as a part of society.
And though we die alone,
we remain connected to the living,
this is how humanity is shown,
through mourning and burning
our anger away,
transforming
ourselves into the masses
of injustices.
That’s how, today,
collective healing can surpass this,
by reclaiming our human remains.T. N.