Das Afrikanische Viertel
Vor 7 Jahren besuchte ich zum ersten Mal das Afrikanischen Viertel in Berlin. Als Teil eines Empowerment Workshops für BIPOCs haben wir eine Führung in dem spannenden Viertel gemacht.
Vor der Ankunft war meine Erwartung ein Viertel vorzufinden, das vor afrikanischen Restaurants und AfroShops nur so sprudelt. Dementsprechend habe ich mir auf dem Weg von Kreuzberg, wo unser Workshop stattgefunden hat, bis in den Wedding überlegt welche afrikanischen Lebensmittel ich wohl kaufen könnte. Kochbananen waren definitiv weit oben auf meiner Liste. Wir stiegen aus der Bahn aus, liefen die U- Bahnstation hoch und sahen: „nichts“. Keine Afrikaner*innen, oder afrikanischen Restaurants, keine AfroSops und auch keine afrikanische oder kulturelle Atmosphäre, „nichts“. Stattdessen: „Eine Wohnsiedlung?“- denke ich mir völlig erstaunt.
Ein älterer Schwarzer Mann begrüßte uns.
Ich freute mich und erinnerte mich wie mein Opa, der leider verstarb als ich 14Jahre alt war, meine Brüder und mich früher begrüßt hat. Sehr ähnlich: stattlich, stolz und immer mit einer gewissen Ernsthaftigkeit hinter seinem freundlichen Lächeln.
Herr Mboro erklärte uns, dass wir über die Kolonialgeschichte Deutschlands sprechen würden.
„Die Kolonialgeschichte Deutschlands?“, denke ich mir. „Aber ich dachte die Deutschen hätten kaum Kolonien gehabt und sie waren doch gar nicht wirklich aktiv auf dem afrikanischen Kontinent oder?“ In der Schule haben wir nichts zu dem Thema gelernt, weil Deutschland ja sehr spät in den Wettlauf um Afrika eingestiegen sei und zudem die Kolonien nach kurzer Zeit verloren hatte. Dementsprechend sei der Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent doch kaum spürbar gewesen. Zumindest hatte ich diese Infos im Laufe der Jahre aufgeschnappt.
Falsch, alles falsch.
An diesem Tag habe ich etwas ganz anderes gelernt.
In Wirklichkeit war Deutschland drittgrößte Kolonialmacht auf dem afrikanischen Kontinent. Menschen wurden versklavt, verschleppt, gefoltert und ermordet, die kolonialisierten Gebiete ausgebeutet. Dabei ging es um Rohstoffe, Kunst aber auch Gebeine der afrikanischen Bevölkerung. Die Rechtfertigung für diese Gräueltaten waren Rassen in die die Menschheit aufgeteilt wurde. Afrikaner*innen wurden dadurch entmenschlicht, sodass die Kolonialisierung und Missionierung vorangetrieben werden konnte. Ohne Rücksicht auf Verluste. Zusätzlich konnten weltweit dieselbe Machtstruktur eingeführt werden.
Paradoxerweise fühlen wir die Rassismen von damals heute noch. Wir denken sie und (er)leben sie alltäglich. Und dennoch gibt es kaum Worte die die Komplexität dieses, von Menschen kreierten, Machtsystems greifbar machen.
Rassismus ist nichts was wir an- und ablegen können. Es ist unsere Denkweise, unsere Annahmen und unser Selbstverständnis mit dem wir durch den Tag, die Welt und das Leben gehen. Denn Hautfarbe ist nicht die Hautfarbe eines Menschen, sondern die Farbe einer Menschengruppe. Schön ist nicht was wir für schön halten, sondern was wir für normal halten und der Rest, nämlich nicht die eindeutige Mehrheit der Weltbevölkerung, ist eben „anders“, eine Minderheit oder nicht? Und Afrika eben ein Land in dem nur arme und bemitleidenswerte Menschen leben, die gerettet werden müssen oder war es doch ein Kontinent?
Das Afrikanische Viertel ist eben nicht das was der Name vermuten lässt. Es manifestiert nicht die Schönheit und Kulturen des riesigen Kontinents, sondern erinnert an die Zeit in der Afrikaner*innenn entmenschlicht und enteignet wurden. Wenn wir durch das Afrikanische Viertel gehen dann ist es nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, es ist eine Reise in uns selbst. Unsere Werte, Menschlichkeit und unser Bestreben es besser zu machen und die Zukunft zu ändern bzw. positiv zu beeinflussen melden sich.
Und eines Tages wenn die ehemaligen Kolonialakteure nicht mehr im Straßenatlas der Stadt geehrt werden, Kolonien nicht mehr romantisiert werden und der Kolonialismus nicht mehr ein blinder Fleck in der Geschichte Deutschlands ist, dann wird das Viertel auch an die Afrikaner*innen erinnern, die für die Unabhängigkeit ihrer Gebiete und Befreiung ihrer Familien und Freunden gekämpft haben. Die Namen von Anna Mungunda, Rudolph Manga Bell, Cornelius Fredericks und der Maji- Maji Aufstand werden in den Mündern und Gedanken der Menschen weiterleben und wir werden nicht vergessen. Eines Tages. Und bis dahin werden wir als Team von „dekoloniale Stadtführung“- jede Person die ein offenes Ohr hat durch das Viertel führen und die Geschichten über den Widerstand weitertragen. Denn auch wir tragen Hoffnung in uns. Hoffnung auf eine gerechtere Welt.