Dekoloniale Stadtführung

Rechte Unterwanderung und koloniale Tradition des Berliner Schlosses?

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Die konträren Debatten über den Gebäudekomplex des Humboldt-Forums / des Berliner Schlosses gehen weiter. Rechte Unterwanderung und koloniale Traditionen – bei diesen Themen taucht ein immer wiederkehrendes Déjà-vu einer sozio-ökonomisch-historischen Amnesie auf. Es ist ein Phänomen der „unschuldigen“ Vergessenheit.

Die vergessene Geschichte der christlichen Symbolik am Berliner Schloss/Humboldt-Forum

Wir leben im Erbe des Kolonialismus und tragen die kulturelle Tradition einer „Überlegenheitskultur“ weiter. Diese selbst geschaffene dominante Weltanschauung entstand aus tiefgreifenden existenziellen Nöten und Ängsten. Aus dem Kontext einer frühchristlichen Zeit der Antike oder im Mittelalter ist ein deutliches Beispiel die Kuppel am Berliner Schloss. Sie wurde im Mai 2020 mit christlich-preußischen Bauschmuck, inklusive Laterne mit Kreuz, wiedererrichtet. Die Kuppel erinnert an die Auffassung König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) von einem „Jerusalem in Preußen“.

Jürgen Zimmerer und Philipp Oswalt betonen eine christliche Unterwanderung. Die Deutungen weisen auf „eine konservativen Wende des identitätspolitischen Kerns der Berliner Republik“ hin. Als am 19. und 20 März 2024 die acht biblischen Prophetenfiguren Daniel, Hesekiel, Hosea, Jeremias, Jesaias, Jonas, Zacharias und Zephaniah auf der Schlosskuppel installiert wurden, wurde nicht nur Gott verherrlicht, sondern auch die biblische Botschaft vermittelt. Jerusalem ist bedroht, durch die Gottlosigkeit der Heidenvölker zerstört zu werden1. Israel wird dennoch durch die Wiederauferstehung des Messias gerettet. Dadurch werden der Zeitgeist der preußischen Könige und ihre Vorstellung einer neuen „christlich-evangelischen Weltkirche“ wiederbelebt. Die Verflechtung von Christentum und Kolonialismus wird heute oft ignoriert. Wenn wir die Visionen von König Friedrich Wilhelm IV. betrachten, wird das Ausmaß der christlichen Symbolik deutlich. Er war ein begeisterter Protestant und strebte er nach einer neuen evangelischen Kirche, basierend auf den Lehren Martin Luthers. Friedrich Wilhelm IV. wollte diese durch frühchristliche Architektur im Stadtbild wiederbeleben.

Inschriften wie bei den Römern und eine Gerechtigkeit durch Waffen

Die Vorbilder der symbolischen Prunkinschriften waren die Römer. In denen feierten sie sich als „Herrscher über den Erdkreis, als Beschützer des Glaubens, als Förderer der Kunst und Wissenschaft“.2 In dieser Tradition stehen auch die Inschriften an den Berliner Bauwerken veranlasst von den preußischen Herrschaftshaus. Ein Beispiel hierfür ist die lateinische Inschrift über dem Portal des Zeughauses Unter den Linden, die Friedrich I. (1657-1713), König von Preußen, als „Vater des Vaterlandes“ preist. Sie verkündet:

»Für die Gerechtigkeit durch Waffen, für die Abschreckung der Feinde, für den Schutz der eigenen Völker und der Verbündeten hat Friedrich I., König in Preußen, Vater des Vaterlandes, fromm, erhaben, unbesiegt, dieses Zeughaus, das mit aller Art Kriegsgerät sowie mit Kriegsbeute und Trophäen angefüllt ist, vom Fundament her erbauen lassen 1706«.

Ein weiteres Beispiel ist die Inschrift an der Schlosskuppel. Sie stammt von Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. Sie lautet:

„Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“

Apostelgeschichte Kapitel 4, Vers 12 und Brief an die Philipper Kapitel 2, Vers 20

Wer hat die Deutungshoheit?

Prof. Dr. Eve-Marie Becker ist vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. Sie kommentiert dazu, dass es sich bei den zwei Bibelversen um Bekenntnisaussagen marginalisierter jüdischer Jesusanhänger, Petrus und Paulus, handelt. Sie wurden Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. inhaftiert und später hingerichtet. Becker kritisiert, dass der Ursprung der Inschrift und ihre Bedeutung häufig ausgeblendet werden. Sie betont den eigentlichen Ausdruck von Demut und das kirchenpolitische Harmoniebestreben des Preußenkönigs.

Die Demut gegenüber Gott und die Verwendung seines Namens wurden oft zur Legitimierung von Kolonialismus und Sklaverei missbraucht. Die Inschrift wird daher oft als Ausdruck des preußischen Machtanspruchs oder als Symbolik christlich-kolonialer Herrschaft gedeutet. Es ist wichtig, zwischen der Intention Friedrich Wilhelm IV.s und den tatsächlichen Auswirkungen zu unterscheiden. Nach Auffassung der Kulturstaatsministerin Claudia Roths steht die Inschrift für ein Königtum. Sie kritisiert, dass sein Machtanspruch allein auf Gott gründete und nicht auf die Macht und Selbstbestimmung des Volkes. Diese Deutungen der christlichen Symbolik stehen im Widerspruch zur Weltoffenheit des Humboldt Forums. Der Beitrag der Kirchen und dessen bis heute herrschenden Auswirkungen zum Kolonialismus fehlt es an Aufklärung.

Zu dieser Wissenslücke gibt es eine Dekoloniale Stadtführung im Humboldt-Forum und zwar jeden Freitag von 11 bis 13 Uhr (auf Deutsch) sowie von 14 bis 16 Uhr (auf Englisch).

Rechte Spenden für das Humboldt-Forum/Berliner Stadtschloss

Der Bundestag plante 2007 nur eine vereinfache Verkleidung der Kuppel, ohne historische Gestaltung. Der Bau der Kuppel kostete 80 Millionen Euro. Der Förderverein des Berliner Schlosses gab 2013 bekannt, dass zunächst nur 25 Millionen Euro Spenden vorhanden waren. Eine anonyme Spende von 5 bis 9 Millionen Euro ermöglichte den originalgetreuen Wiederaufbau der Kuppel. Es bleibt die Frage, wer aus welchem Grund spendet. Inga Maren Otto ist Witwe des Versandhauskonzern-Gründers Werner Otto, der auch als Versandhauskönig bekannt ist. Sie spendete 1 Million Euro für die Laterne und das goldene Kreuz. Es ist nicht überraschend, dass ökonomische Machtpositionen auch im deutschen Herrschaftshaus verewigt werden wollen.

Phillipp Oswalt deckte weitere Fälle rechter Spenden auf. Er führte jahrelange Recherchen über rechte Spendengelder zum Humboldt Forum/Berliner Schloss durch. Einer der Großspender war Ehrhardt Bödecker, der rechtsextreme Ansichten vertrat und sich wiederholt antisemitisch äußerte. Andere Großspender*innen waren Menschen bzw. Organisationen und Vereine, die Verbindung zur ADF-Politik hatten und vertreten. Aus Datenschutzgründen werden die Namen der Spender*innen nicht genannt und viele spenden anonym. Laut der Webseite des Fördervereins Berliner Schloss wurde eine der Figuren, der Prophet Daniel, von der als rechtsradikal eingeschätzten Politikerin und Publizistin Vera Lengsfeld finanziert. Die Namen der anderen Spender*innen werden auch auf Nachfrage von der Stiftung Humboldt Forum und dem Bundesbauministerium nicht bekannt gegeben. Es bleibt ungewiss, wie viel und wer gespendet hat.

Gesellschaftliche Teilhabe an der traditionellen Unterdrückung

Wie der Kunsthistoriker Alfred Hagemann betont, unterstreichen die Propheten und die Inschrift „den universellen Herrschaftsanspruch des Christentums“. Diese Verherrlichung und finanzielle Unterstützung aus rechten Kreisen unterwandern das Humboldt Forum/Berliner Schloss. Das verwendete Gold ist auch ein Produkt des Kolonialismus. Vor unseren Augen legitimieren wir als deutsche Zivilbevölkerung Ausbeutung und Unterdrückung. Das Projekt des Humboldt Forums wiederholt dieses Muster und spiegelt die Tradition deutschen Kolonialismus wider. Dies wurde auch von der Herero-Aktivistin und namibische Vize-Ministerin Esther Muinjangue kommentiert, die für Entschädigung für den Völkermord an den Herero und Nama kämpft.

Die Verharmlosung und Normalisierung von Verbrechen an Nicht- weißen Menschen sind rassistisch und kolonial und setzten eine lange Tradition fort. Der Wiederaufbau eines Schlosses symbolisiert nicht nur den wirtschaftlichen Aufstieg des Deutschen Reichs, sondern auch die bewusste, gewollte und sogar legalisierte Unterdrückung Nicht-weißer Menschen.

Wir erkennen die Gewalt nicht, weil wir die Opfer nicht sehen. Schon in der biblischen Apostelgeschichte übersehen wir die Menschen, die an Jesus glaubten und aus Jerusalem geflohen sind. Wir verherrlichen die Apostel, die geblieben sind. Glaube überlebt nicht nur durch Verherrlichung, sondern wenn die Menschen überleben. Deshalb sollte es in den Debatten um Menschenleben gehen, anstatt um Glaubenspolitik.

Walk the past, change the future.

Wie ein König möchte ich leben,                                                                                 
in einem Schloss voller Macht und Möglichkeiten,                                    
um die Länder der Welt zu bereisen,                                                                  
und die sogenannte Überlegenheit zu erleben.                                   

Sich sicher fühlen, wie ein globaler Mensch mit Perspektiven,            
wie wir es kennen von Hegel und Kant, voller Vernunft,                           
erzählen wir öffentlich Auskunft                                                                           
über diejenigen mit unterlegenen Trieben.                                                     

Wir reden über Kultur und Güter, um als Prophet die Orientierung zu geben,    
intellektuell bis zur vollkommenen Harmonie,                                              
voller Sozialismus und Demokratie,                                                              
alles für die neue Hierarchisierung der zivilen Bewegung.                                 

Es ist eine wahrhafte Position im Massentourismus,
präsentierend mit erhobenen Haupt,
„unwissend“ von dem kulturellen Raub,
durch das Ignorieren gewisser Fakten,
die ein Mensch wissen muss.

Menschenliebe durch gewaltvolle Ungerechtigkeit
ist kein Thema des Weltfriedens,
sondern nur eine Agenda des Siegens
mithilfe brutaler Legitimierung,
vermarktet durch Gottgegebenheit.

Wahre Menschlichkeit und unsere eigentliche Herkunft
sind nur zu finden ohne emotionale Entbehrung
durch die dekoloniale Aufklärung
über den Kolonialismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

T. N.
  1. Alte Testament ↩︎
  2. Helmut Caspar über die Prunkinschriften in Berlin ↩︎